Weder Adam noch Eva sind schuld an der Geschlechterungleichheit

In diesem Buch geht es um die Erklärung der Geschlechterverhältnisse in Deutschland, deren Wandel sowie die anhaltende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Das Buch bietet den Lesenden zunächst einen Überblick über die Geschlechterverhältnisse auf der Basis aktueller Daten, einschließlich der üblichen rollentheoretischen Erklärungen (erstes Kapitel). Da diese Erklärungen zu kurz greifen, jedoch immer von Geschlecht als unhinterfragter Grundlage ausgehen, vertiefe ich im zweiten Kapitel, was Geschlecht überhaupt ist: die biparentale Vermehrung und die vorgebliche biologische Zweigeschlechtlichkeit des Menschen. Diese erscheint letztlich als ein kulturelles Symbolsystem (sex-gender), das aber selbst erklärungsbedürftig bleibt. Die Daten der Geschlechterverhältnisse und das Symbolsystem der Zweigeschlechtlichkeit können also weder von einem biologischen Geschlecht (sex) noch von einem sozialen Geschlecht (gender) her begriffen werden. Geschlecht erklärt nicht die Geschlechterverhältnisse und ihren Wandel!

Die Hierarchie in den Geschlechterverhältnissen und der symbolischen Ordnung lässt mich weiter fragen, was gewonnen ist, wenn man die Geschlechterverhältnisse als Herrschaftsverhältnisse begreift (drittes Kapitel). Dies führt zu der Einsicht, dass die aktuellen Geschlechterverhältnisse und ihr Wandel nicht aus einem allgemeinen, ahistorischen Begriff der Männerherrschaft oder des Heterosexismus zu erklären sind. Adam kann nicht als Sündenbock dienen. Die Geschlechterungleichheit ist aus der heutigen Gesellschaftsform und der Dynamik ihrer Herrschaftsverhältnisse heraus zu begreifen, nämlich aus einer Doppelherrschaft: einerseits dem bürgerlichen Staat, der fast alle Gewaltmittel besitzt, und andererseits aus den Zwängen der kapitalistischen Produktionsweise. Beides ist personell und organisatorisch getrennt – anders als in einer früheren Herrschaftsform –, lässt die Menschen aber auch in ihrer Glückssuche im Privaten nicht los. Die Geschlechter, Adam und Eva, werden im vierten Kapitel nicht aus sich heraus begriffen (aus ihren Persönlichkeiten, ihrer Biologie, als Herrscher/Beherrschte), sondern als Summe der Erscheinungen resultierend aus drei Abteilungen der aktuellen Herrschaft: Zuerst werden sie bestimmt als vergeschlechtlichte Subjekte unter der Herrschaft des Rechts, insbesondere der Bevölkerungs- und Familienpolitik; dann als Subjekte in der Lohnarbeit, auf dem Arbeitsmarkt und in Organisationen. Überall werden Vergeschlechtlichung und körperliche Unterschiede genutzt, sodass in der Folge Geschlechterungleichheit entsteht beziehungsweise sich erhält. Schließlich sind die Geschlechtssubjekte bestimmt durch ihre Suche nach Erholung, nach Glück und Liebe sowie durch die Hausarbeit – womit sie selbst ihre ungleiche Vergeschlechtlichung in der privaten Lebensführung vervollständigen. Überall entstehen systematisch hierarchisierende Geschlechtsunterschiede: über die nicht-personale Herrschaft der Politik, durch den stummen Zwang, arbeiten zu gehen, und, in der Folge, im von beidem gerahmten Leben im Privaten. Die kulturelle Zweigeschlechtlichkeit speist sich also aus vielen Quellen, wodurch die statistischen Geschlechtsunterschiede entstehen.

Die Schlussthese des Buchs im fünften Kapitel ist, dass die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft uns alle als geschlechtliche Subjekte unterwirft. Genau wie aus den Formen von Ware und Recht notwendig Herrschaft resultiert, so entsteht in der bürgerlichen Herrschaft von Sachzwang und Gewalt notwendig weiter Geschlechterungleichheit. Die Kritik an der Beteiligung von Frauen (und von Schwulen, Lesben …) in den Geschlechtermissverhältnissen soll also nicht erneut Eva die Schuld zuschieben. Weder Adam noch Eva sind verantwortlich zu machen, der Kapitalismus ist beider Gott und Herr.